landluft
Thursday, 16. May 2019

Einer dieser Tage, an denen es läuft, an denen alle Räder ineinandergreifen. Gut aus dem Bett gekommen, schon sechs Wochen nach dem Wechsel lässt die morgendliche Panik nach. Im Büro bin ich nur so müde, daß ich eben die Augen offenhalten kann. Das schicke Hemd von der Hochzeit und die zufällig oben vom Stapel genommene schwarze Hose lassen mich Unbedarften total unauffällig erscheinen, wie ich da in eine Besprechung hoher Damen und Herren schlittere. Kleider machen eben doch Leute, denke ich, und wie immer, wenn ich über den Hof laufe, denke ich auch, daß ich viel öfter in der Sonne über den Hof laufen sollte. Bis fünf keine Minute Langeweile, das mitgebrachte Vesper und Mittagessen schmeckt, reicht und beschwert mich nicht über die Sättigung hinaus. Für Minuten immer wieder ein Hoffen und ein Bangen, zwei Themen dahinterstehend, und für beide habe ich mich entschieden. Sicher nicht allwissend, vielleicht nicht einmal bewusst, doch klar für Hoffen und Bangen und die Risiken einer Veränderung und gegen die Zustände, die mich bedrückten. Es sieht fast so aus, als könne ich nun zu mir stehen, herrjeh. Heimweg, vor dem Aussteigen der Blick zur Uhr, bis zum umgezogenen Wiedereinsteigen vier Minuten. Viel ist da nicht mehr zu holen, denke ich, und das arme Treppengeländer zittert noch immer nach, weil ich mich im freien Flug daran um die Ecken schwinge, als ich schon wieder auf der Straße bin. Belegte Wecken liegen bereit, ich tanke den Schlepper, mähe den Berg. Grünes Gras und weißer Himmel, der Blick gerahmt vom schroffen Albtrauf. Jeder Blick ein Bild, jeder Herzschlag ein Festakt. Mein Foto von hier, auf dem Telefon neben dem Foto von einer, die sich irgendwann zurückzog, denn gegen diese Liebe wollte sie nicht ankommen. Kein Stich heute, es ist zu hell und grün und blau und weiß dafür. Ich vermisse Dich morgen wieder, sage ich zu ihrem Foto, und dann versuche ich am Telefon noch einige Hinterlassenschaften zu ordnen. Ich wüsste wirklich nicht, wie ich zu Geschäftszeiten etwas erledigen sollten. Immer. Alles. Außer Kleinigkeiten. wird auf meinem Grabstein stehen, fürchte ich. Hoffe ich. Ich gewöhne mich, die Hektik weicht konzentrierter Gelassenheit. Ich wachse in die Maschine, drehe an Parametern und mache Arbeitsabläufe zu fließenden Bewegungen. Ich bin spät dran, fahre nun gegen die Zeit. Das vordere Mähwerk sauber an der Kotzgrenze halten. Mein Abrücken ein Fest, die Zapfwellen laufen aus, die Flügel klappen nach oben. Gruppenwechsel, Rundumleuchte, brüllende Bergfahrt. Ich scheuche den kleinen Japaner aus der Hofeinfahrt, beim Aussteigen wieder der Blick zur Uhr. Acht Minuten, Dusche inklusive. An der Kreuzung öffne ich im Ausrollen die Tür und spucke das Mundwasser in den Rinnstein. Flieg, kleiner Japaner, und während wir durch die Nacht über enge Sträßchen hetzen, denke ich daran, daß wir früher immer auf diese Art unterwegs waren. Das Pedal am Bodenblech, die Reifen quietschend, und vor allem immer genauso hektisch und lachend wie jetzt. Die Zeit, die ich kaum erwarten konnte. Es ging nicht um ein Ziel, sondern nur um das Tun. Prioritäten ergaben sich aus den Aufgaben, die vor uns auf der Straße lagen. So wurde mit der gleichen Intensität nachts an Maibäumen gearbeitet wie tags an Güllegruben, Häuser entkernt und Werkstätten verputzt, so habe ich gelernt und getrunken und gearbeitet, wie es eben kam, so war ich ebenso planlos und kurzsichtig wie glücklich. Wie in alter Zeit weiche ich dem Blitzer aus, die Standorte sind im Hinterkopf eingestaubt, die Bewegungen automatisiert, und nachts sind sowieso alle Schilder grau. Ich mag das Knacken eines richtig warmgefahrenen Fahrzeugs, denke ich beim Aussteigen. Die Straßen sind leer, meine Zeit könnte man noch als "kurz nach" beschreiben. Zuerst ist es ein Sitzen auf dem Sofa, doch schnell ein verschlingen sich zwei Körper, schmiegen sich an, um sich zu spüren. Ich streiche über diese scharfen Wangenknochen, spüre Muskeln an den Armen nach bis hinter die schmalen Schultern. Wie harmlos wir sind. Ich streiche über Stirn und Brauen, bis die Spannung unter der glatten Haut nachlässt. "Kann ich meine Jogginghosen anziehen?" fragt sie, und mir läuft das Herz über. Als müsste sie mich fragen! Ungeschminkt, sagt sie weiter, hätte ich sie zuvor auch noch nicht gesehen. Ich nicke und hoffe, man merkt mir meine Unwissenheit nicht an. Die Augen, sagt sie, aber in die schaue ich doch ständig, denke ich. Wimpern und Brauen, erläutert sie, und ich nicke. Wie man ständig hinschauen und doch so wenig sehen kann, weiß ich auch nicht. Die Brauen sind rotblond, wenn man den goldenen Schimmer nicht so nennen mag, der über allem liegt.
Schmeiß mich raus, sage ich irgendwann in unsere Umarmung, zwischen uns Nähe und daher Befangenheit. Du mußt nicht bleiben, sagt sie, und dann sagen wir lange nichts, schauen uns einen kurzen Film an, den ich aufgenommen habe in meiner Begeisterung, und vorsichtig schaue ich sie an dabei. Sie lächelt, auf dem Telefon schwankt die Kamera über Mähwerke, Wiesen und meinen Herzensberg, und in mir schwanke ich. Ein anderer kurzer Film hinter einer spiegelglänzenden Scheibe, und in jeder Blende und jeder dunklen Szene sehe ich uns auftauchen in der Schwärze. Ich streiche planlos über Haut. Noch mehr Befangenheit, und dann liege ich stocksteif mit kontrolliertem Atem, wissend, daß ich weder schlafen kann noch will. Nur liegen. Sie dreht sich auf mich, um mich, von mir, bleibt dabei auf meinem Arm liegen. Dieser wärmende Kontakt. Auf meinen Weckruf hin schwinge ich mich auf, das knorrige alte Herz kommt in Schwung, ich werfe mir Wasser ins Gesicht und mich in meine Kleider. Ein Blick noch, ein letzter, innehalten. Die Glieder angezogen liegt sie auf der Seite, die Augen geschlossen, keine Regung, der Atem kaum zu hören. Die Treppen hinab, freier Flug, im Auto und in mir der Sonnenaufgang im Rückspiegel. Mehr, höre ich mich sagen, viel mehr.

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Last modified: 5/16/19, 11:04 AM
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